Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace
Globale Google Aktivitt ber einen Zeitaum von 24 Stunden
John Perry Barlow
Regierungen der industriellen Welt, Ihr müden Giganten aus
Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, der neuen Heimat
des Geistes. Im Namen der Zukunft bitte ich Euch, Vertreter einer
vergangenen Zeit: Laßt uns in Ruhe! Ihr seid bei uns nicht
willkommen. Wo wir uns versammeln, besitzt Ihr keine Macht
mehr.
Wir besitzen keine gewählte Regierung, und wir werden wohl
auch nie eine bekommen - und so wende ich mich mit keiner
größeren Autorität an Euch als der, mit der die
Freiheit selber spricht. Ich erkläre den globalen sozialen
Raum, den wir errichten, als gänzlich unabhängig von
der Tyrannei, die Ihr über uns auszuüben anstrebt. Ihr
habt hier kein moralisches Recht zu regieren noch besitzt Ihr
Methoden, es zu erzwingen, die wir zu befürchten
hätten.
Regierungen leiten Ihre gerechte Macht von der Zustimmung der
Regierten ab. Unsere habt Ihr nicht erbeten, geschweige denn
erhalten. Wir haben Euch nicht eingeladen. Ihr kennt weder uns
noch unsere Welt. Der Cyberspace liegt nicht innerhalb Eurer
Hoheitsgebiete. Glaubt nicht, Ihr könntet ihn gestalten, als
wäre er ein öffentliches Projekt. Ihr könnt es
nicht. Der Cyberspace ist ein natürliches Gebilde und
wächst durch unsere kollektiven Handlungen.
Ihr habt Euch nicht an unseren großartigen und verbindenden
Auseinandersetzungen beteiligt, und Ihr habt auch nicht den
Reichtum unserer Marktplätze hervorgebracht. Ihr kennt weder
unsere Kultur noch unsere Ethik oder die ungeschriebenen Regeln,
die unsere Gesellschaft besser ordnen als dies irgendeine Eurer
Bestimmungen vermöchte.
Ihr sprecht von Problemen, die wir haben, aber die nur Ihr
lösen könnt. Das dient Eurer Invasion in unser Reich
als Legitimation. Viele dieser Probleme existieren gar nicht. Ob
es sich aber um echte oder um nur scheinbare Konflikte handelt -
wir werden sie lokalisieren und mit unseren Mitteln angehen. Wir
schreiben unseren eigenen Gesellschaftsvertrag. Unsere
Regierungsweise wird sich in Übereinstimmung mit den
Bedingungen unserer Welt entwickeln, nicht Eurer. Unsere Welt ist
anders.
Der Cyberspace besteht aus Beziehungen, Transaktionen und dem
Denken selbst, positioniert wie eine stehende Welle im Netz der
Kommunikation. Unsere Welt ist überall und nirgends, und sie
ist nicht dort, wo Körper leben.
Wir erschaffen eine Welt, die alle betreten können ohne
Bevorzugung oder Vorurteil bezüglich Rasse, Wohlstand,
militärischer Macht und Herkunft.
Wir erschaffen eine Welt, in der jeder Einzelnen an jedem Ort
seine oder ihre Überzeugungen ausdrücken darf, wie
individuell sie auch sind, ohne Angst davor, im Schweigen der
Konformität aufgehen zu müssen.
Eure Rechtsvorstellungen von Eigentum, Redefreiheit,
Persönlichkeit, Freizügigkeit und Kontext treffen auf
uns nicht zu. Sie alle basieren auf der Gegenständlichkeit
der materiellen Welt. Es gibt im Cyberspace keine Materie.
Unsere persönlichen Identitäten haben keine
Körper, so daß wir im Gegensatz zu Euch nicht durch
physische Gewalt reglementiert werden können. Wir glauben
daran, daß unsere Regierungsweise sich aus der Ethik, dem
aufgeklärten Selbstinteresse und dem Gemeinschaftswohl
eigenständig entwickeln wird. Unsere Identitäten werden
möglicherweise über die Zuständigkeitsbereiche
vieler Eurer Rechtssprechungen verteilt sein. Das einzige Gesetz,
das alle unsere entstehenden Kulturen grundsätzlch
anerkennen werden, ist die Goldene Regel. Wir hoffen, auf dieser
Basis in der Lage zu sein, für jeden einzelnen Fall eine
angemessene Lösung zu finden. Auf keinen Fall werden wir
Lösungen akzeptieren, die Ihr uns aufzudrängen
versucht.
In den Vereinigten Staaten habt Ihr mit dem "Telecommunications
Reform Act" gerade ein Gesetz geschaffen, das Eure eigene
Verfassung herabwürdigt und die Träume von Jefferson,
Washington, Mill, Madison, Tocqueville und Brandeis beleidigt.
Diese Träume müssen nun in uns wiedergeboren
werden.
Ihr erschreckt Euch vor Euren eigenen Kindern, weil sie
Eingeborene einer Welt sind, in der Ihr stets Einwanderer bleiben
werdet. Weil Ihr sie fürchtet, übertragt Ihr auf Eure
Bürokratien die elterliche Verantwortung, die Ihr zu feige
seid, selber auszüben. In unserer Welt sind alle
Gefühle und Ausdrucksformen der Humanität Teile einer
umfassenden und weltumspannenden Konversation der Bits. Wir
können die Luft, die uns erstickt, von der nicht trennen,
die unsere Flügel emporhebt.
In China, Deutschland, Frankreich, Rußland, Singapur,
Italien und den USA versucht Ihr, den Virus der Freiheit
abzuwehren, indem Ihr Wachposten an den Grenzen des Cyberspace
postiert. Sie werden die Seuche für eine Weile
eindämmen können, aber sie werden ohnmächtig sein
in einer Welt, die schon bald von digitalen Medien umspannt sein
wird.
Eure in steigendem Maße obsolet werdenden
Informationsindustrien möchten sich selbst am Leben
erhalten, indem sie - in Amerika und anderswo - Gesetze
vorschlagen, die noch die Rede selbst weltweit als Besitz
definieren. Diese Gesetze würden Ideen als nur ein weiteres
industrielles Produkt erklären, nicht ehrenhafter als
Rohmetall. In unserer Welt darf alles, was der menschliche Geist
erschafft, kostenfrei unendlich reproduziert und distribuiert
werden. Die globale Übermittlung von Gedanken ist nicht
länger auf Eure Fabriken angewiesen.
Die zunehmenden feindlichen und kolonialen Maßnahmen
versetzen uns in die Lage früherer Verteidiger von Freiheit
und Selbstbestimmung, die die Autoritäten ferner und
unwissender Mächte zurückweisen mußten. Wir
müssen unser virtuelles Selbst Eurer Souveränität
gegenüber als immun erklären, selbst wenn unsere
Körper weiterhin Euren Regeln unterliegen. Wir werden uns
über den gesamten Planeten ausbreiten, auf daß keiner
unsere Gedanken mehr einsperren kann.
Wir werden im Cyberspace eine Zivilisation des Geistes
erschaffen. Möge sie humaner und gerechter sein als die
Welt, die Eure Regierungen bislang errichteten.
John Perry Barlow
(barlow (at) eff.org)
Davos, Schweiz
8. Februar 1996
(Deutsch von Stefan Münker)